31. SONNTAG im Jahreskreis

Evangelium nach Markus (12,28b-34)

 

„Liebt Gott von ganzem Herzen und mit ganzem Willen, mit ganzem Verstand und mit aller Kraft. Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst. Das ist das Allerwichtigste im Leben.“ Wie verstehen wir das? Meinen wir mit „Liebe“, was Jesus meint?

Wenn man im Internet „googelt“ und das Wort Liebe eingibt, kommt man zu einem erstaunlichen Ergebnis von über 67.600.000. Es kommt in praktisch allen Schlagern vor, in Romanen, in Filmen, in Theaterstücken. Nur: Geht es da um die „Liebe“, die Jesus meint?

Sehr oft denkt man an hoch intensive Gefühle, die oft erotisch-sexuell gefärbt sind. Ist das nicht eine sehr einseitige Sicht? Es gibt auch die Vater- und Mutterliebe zu den Kindern, die Liebe vom Kind zu den Eltern, die Liebe zwischen Geschwistern, zwischen Freunden und Freundinnen. Es sind unterschiedliche Formen der Liebe, aber alle haben dieselbe Wurzel, die Grundform der Liebe, nämlich die „Nächstenliebe“. Hier geht es um Fürsorge (Sorge um den anderen), Verantwortung, Respekt und Wissen um den anderen. Es geht hier um mehr als um ein Gefühl. Lieben ist eine Aktivität, Taten setzen: Ich tue dem anderen Gutes. In Wort und Tat trage ich Sorge dafür, dass es dem anderen gut geht, egal ob dieser Ehemann, Ehefrau, Kind, Bruder, Schwester, Freund oder Nachbar ist. Sie sind alle meine Nächsten. Diese Liebe zu ihnen, diese „Nächstenliebe“, ist die Grundform aller anderen Arten der Liebe.

Liebe ich Gott? Und wie liebe ich ihn? Mit meinem ganzen Herzen, mit meinem ganzen Willen, mit meiner Vernunft, mit allen meinen Kräften? Das wird nur möglich, wenn ich mich wie bestürzt davon betroffen fühle, dass er mich liebt. Es ist wie der Evangelist Johannes sagt: „Wir wollen lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.“ Er hat es in Jesus gezeigt. „Die Menschenfreundlichkeit Gottes ist in Jesus erschienen“. Durch seine Lebenspraxis hat Jesus die wohlwollende Zuwendung Gottes zu uns spürbar gemacht. Meine Liebe zu ihm ist meine Antwort, auf seine Liebe. Es ist zutiefst Dankbarkeit. So möchte ich mit meinem Verstand, mit meinem ganzen Willen, mit meinem Herzen in einer Liebesbeziehung zu Gott leben.

Das zeige ich, wenn ich versuche so zu leben, wie er es von mir erwartet, durch meine Worte und Taten, durch meine Lebensweise. „Wenn ihr mich liebt, so werdet ihr meine Gebote halten.” In der hebräischen Sprache gibt es die Befehlsform „du sollst“ nicht. Es heißt eigentlich „du wirst“. Wenn es dir bewusst ist, dass Gott dich liebt, dann wirst du Gott mit Gegenliebe antworten, indem du versuchst seinen Erwartungen zu entsprechen, indem du dich dankbar an seine Weisungen hältst, denn du weißt: Er meint es gut mit dir. Er will nur dein Bestes.

Es ist der tiefste Wunsch Gottes, dass wir auch seine anderen Kinder, unsere Mitmenschen, lieben. Deswegen heißt es auch im 1. Johannesbrief: „Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, und seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner.“ Dann ist seine Liebe zu Gott unglaubwürdig.

Die Liebe zu meinen Mitmenschen, kann ich also von der Liebe zu Gott nicht trennen. Wo wir diese Liebe praktizieren, sind wir nicht weit von Gottes neuer Welt, von seinem Reich, entfernt. Wo geliebt wird, ist Gott wirksam, gehören wir zu seiner Welt, zu seinem Reich - das Reich Gottes wird spürbar.

Jesus meint nun, dass die Glaubwürdigkeit unseres Christseins davon abhängt, ob wir einander lieben, wie uns selbst. Das ist die „Goldene Regel“: „Behandele den anderen so, wie du von ihm behandelt werden möchtest.“

Der Hl. Augustinus kann dann sagen: "Liebe und tue dann, was du willst! Schweigst du, so schweig aus Liebe; wirst du laut, tu es in Liebe; weisest du zurecht, weise zurecht in Liebe; übst du Nachsicht, tu es in Liebe. Lass die Wurzel der Liebe in deinem Inneren verbleiben: Aus dieser Wurzel kann nur Gutes wachsen."

Erich Fromm hat ein ganz wichtiges Büchlein geschrieben: „Die Kunst des Liebens“. Er meint: Lieben ist eine Kunst, eine Fähigkeit, die gelernt werden muss. Besteht nicht die wichtigste Aufgabe von Eltern darin, dass ihre Kinder fähig werden11 zu lieben ? Besteht unser Christsein nicht darin, unser ganzes Leben lang immer wieder durch Wort und Tat zu versuchen, Gott und die Mitmenschen zu lieben?

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